Ein Trail Run an sich verlangt Kopf und Körper viel ab. Wenn es dann aber 120.8km mit 7000 Höhenmeter sind wird es nochmal etwas härter. Dieser Challenge stellt sich Alexander Reist bei seinem Projekt Grenzgang. Das ist keine Herausforderung, die man nur mit Muskelkraft meistert. Das braucht neben guter Physis einen starkes Mindset.
Diese notwendige mentale Stärke für ein Vorhaben dieser Grössenordnung baute er in den letzten Jahren nach einem Breakdown in der WM Vorbereitung mit seinem Mental Coach Peter Schaltegger auf. In diesem Interview sprechen die beiden darüber, was es braucht, um mit dem oft selbst auferlegten Druck umzugehen, welches Tief zum Erstkontakt führte und wie Einsteiger und Fortgeschrittene dank richtigen Strategien über sich hinauswachsen.
Wie habt ihr euch gefunden?
Alex: Ich war in der Vorbereitung für die EM im Trailrun und hatte plötzlich eine mentale Blockade. Drei Monate vor dem Wettkampf ging sportlich einfach nichts mehr. Mir wurde nach und nach klar: Ich brauche professionelle Hilfe. So fand ich Peter, der wie ich auch aus Frauenfeld kommt. Wichtiger war aber, dass er genau das mitgebrachte, was ich gebraucht habe.
Was genau hast du denn gebraucht, deiner Ansicht nach?
Alex: Ich wollte jemand, der im Sport zu Hause ist und hier Wissen und Erfahrung hat. Im Alltag hatte ich keine Probleme, aber im Sport tauchten sie immer wieder auf. Grübeln, in negative Gedankenspiralen kommen und Selbstzweifel, die am Ende ihre Spitze in der Total- Blockade hatten. Eine der krassesten Erfahrungen war, dass ich bei einem Trainingslauf nach wenigen Kilometern abbrechen musste und mich meine Frau abholen musste. Ich brauchte jemanden, der mit solchen Ereignissen umgehen konnte und mir die richtigen Fragen stellte und Tools aufzeigte.
Aus heutiger Sicht scheint das gelungen. Wie war das für dich mit Alex?
Peter: Mit einem Athleten wie Alex ist die Arbeit sehr angenehm. Alex bringt von Haus aus ein starkes Performance-Mindset und gutes Selbstvertrauen mit. Dank dem konnten wir sehr schnell die Lösungsfindung angehen. Alex war sich auch bewusst, dass es Arbeit brauchte und dass wir ohne Disziplin und Durchhaltewillen nicht vorwärtskommen werden. Zudem bringt Alex neben dem Mindset auch das stabile Umfeld mit – ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Er und das Umfeld waren bereit, den Einsatz zu geben, um die notwendigen Schritte zu machen. Wir haben an konkreten Strategien und Werkzeugen gearbeitet, um Herausforderungen zu lösen oder diese vor dem Auftreten zu umgehen.
Kannst du da einige Beispiele nennen?
Einige Beispiele sind da
- Emotionsregulation, indem sie bewusst wahrgenommen werden und gesteuert werden.
- Fokus auf den Moment, wie zum Beispiel im Rennen Schritt für Schritt beobachten
- Achtsamkeit stärken auch in der Vorbereitung
Zentral ist dabei immer die Selbstreflexion. Nur so entdecken wir, wo die Themen wirklich liegen. Es geht nicht nur um die Vergangenheitsbewältigung im Sinne von «loswerden was in meinen Rucksack ist», sondern um Lösungsfindung. Das Kernproblem muss gefunden werden, um dann die Person zu bestärken und zu befähigen mit Selbstvertrauen ihre Erfolge zu realisieren.
Alex: Wenn man das so hört, dann erscheint das simpel, aber die Arbeit mit Peter war intensiv. Es gab auch unangenehme Themen und kritische Fragen zu beantworten. Das hat dann auch tiefer liegende Themen an die Oberfläche gebracht. Solche Dinge waren nicht nur einfach, aber umso spannender waren die Erkenntnisse. Da hat sich im Laufe der Zeit einiges aufgestaut und mit der mentalen Arbeit dann zum Glück auch wieder gelöst. Das hat meine Wettkampfergebnisse positiv beeinflusst und vor allem auch das jüngste Projekt ermöglicht. Dank dieser Zusammenarbeit und der Arbeit an mir selbst in den letzten Jahren kann ich nach nationalen und internationalen Erfolgen neue Projekte wie mein 24h-Einsamkeitslauf „Grenzgang“ angehen.
Hast du ein Beispiel, wie sich die Veränderung gezeigt hat?
Alex: Eine wichtige Erkenntnis war beispielsweise, dass ich früher am Start immer alle gemustert und innerlich eingeordnet habe. Anhand der Ausrüstung, dem Auftreten, dem Aussehen und anderem habe ich quasi schon eine innere Rangordnung erstellt und mich nicht selten tiefer platziert. Das nur um dann zum Teil festzustellen, dass ich sie bereits nach wenigen Kilometern hinter mir hatte. Heute ist das kein Thema mehr. Vor dem Start liegt der Fokus auf mir. Es ist wie ein Knips: Jetzt bin ich hier bei mir. Dieser Fokus auf mich und mein Können, meine Ziele und meine eigene Leistung, wird sicher auch bei den 120km ganz wichtig. Da gibt es keine «anderen», nur mich und einen langen Weg.
Warum zeigten sich bei dir die Blockaden im Sport und nicht im beruflichen Alltag?
Peter: Bei dieser Frage geht es nicht um Profi- oder Hobby-Sportler. Was Alex erlebt hat, erleben beide. Im Hirn laufen dieselben Prozesse bei beiden, wenn es drauf ankommt bei einer persönlich wichtigen Sache. Da entsteht Druck und Spannung, wenn ich auf einem gewissen Level Sport machen will. Wer leisten, gewinnen oder sich selbst nicht enttäuschen will, weiss worum es geht – und das erzeugt Stress. Daher ist auch eine selbstauferlegte Challenge im Alleingang wie von Will ins Appenzell über einige Berge nicht ohne.
Alex: Das trifft es gut! Schliesslich war und ist Trailrunning ein wichtiger Teil von meinem Leben. Es gehört zu mir. Ich musste allerdings meine Identifikation als Sportler überdenken. Ich war und bin das zwar nach aussen, doch heute gibt es mehr als nur die Resultate, die Zeiten und noch mehr Wettkämpfe. Klar, ich will Leistung bringen – und ich weiss, dass ich das auch muss für meine Supporter. Aber ich habe ebenso erkannt, dass es in Partnerschaften nicht immer nur um die Resultate geht. Dass dem so ist verdanke ich auch allen Partnern die ich habe. Es gibt für sie wie auch für mich auch noch andere Ziele im Leben, die erreicht werden müssen. Nur so kann die gewünschte Leistung erbracht werden. Diese Priorisierung für das Optimum mache ich und nicht jemand sonst. Mit dieser Erkenntnis, dass es um «meinen Lauf» geht und um «meine Karriere» hat einen starken Einfluss auf das positive Mindset von heute. Auch gibt es die Freiheit ein «Spass Projekt» mit einer anderen Botschaft wie «Nachhaltigkeit im Bergsport» anzugehen anstelle von der nächsten WM Platzierung.
Peter: Du sagst das richtig. Sport ist wichtig, aber man ist nicht nur Sportler. Man ist auch Mensch. Das zu lernen – und damit auch das Selbstwertgefühl nicht nur über Ergebnisse zu definieren – ist ein Prozess. Klar, der Druck von aussen ist da – aber viel von der Belastung entsteht auch im Inneren. So etwas kann auch zur Herausforderung werden beim Projekt «Grenzgang».
Welche Schritte haben geholfen, die Blockaden loszuwerden und den Umgang mit Druck zu optimieren?
Alex Am Anfang war das ein Ausprobieren. Ich habe viele Arbeitsblätter ausgefüllt. Du fängst an, die Tools anzuwenden, sie auf deine Art zu kombinieren oder auch auf deine Situation anzupassen. So ist über die Zeit ein persönliches Repertoire entstanden, das ich heute gezielt nutzen kann. Damit habe ich es auch geschafft, den nationalen Sprint OL in Olten zu gewinnen. Ich war in der Lage, mich bereits beim Einlaufen in den mentalen Zustand zu bringen, den ich an der Startlinie brauchte. Mit solchen Erfahrungen kommt automatisch mehr Lockerheit. Du lernst besser mit Druck umzugehen und bekommst Freiraum, dich auch mit anderen Themen zu beschäftigen. Deshalb traue ich mir auch zu, für meinen Trip im Sommer neue Dinge anzueignen.
Peter: Was Alex da erzählt, das ist leichter gesagt als getan. „Fokussier dich, konzentrier dich“ – das kommt nicht von heute auf morgen. Es sind die Details, auf die es ankommt. Die Vorbereitung ist entscheidend mit viel Wissen über mich selbst. Was sind meine Dos and Don’ts? Was kann mich aus dem Konzept bringen – und wie gehe ich damit um? Es geht darum, die eigenen Stolpersteine zu kennen. Ein Plan B gehört immer dazu – nicht nur für die Vorbereitung, sondern auch für den Wettkampf selbst.
Jetzt waren wir vor allem in der Phase vor dem Wettkampf. Was ist, wenn es nicht läuft, wie es soll?
Alex: Lass uns da doch gleich von einem meiner übelsten Erlebnisse reden, wie zum Beispiel von meinem Sturz beim Wettkampf auf dem Stoss. Er hat mich eine Top Platzierung gekostet, denn ich musste das Rennen abbrechen. Nach dem Rennen haben Peter und ich den kompletten Prozess rekapituliert – Schritt für Schritt. Am Ende haben wir festgestellt: Eine Minute vor dem Sturz habe ich den Fokus verloren und meine Gedanken zu weit von mir und meinem Rennen entfernt. Und genau das war der Auslöser. Das war also mein eigener Fehler. Schwieriger wird es dann, wenn mir z.B. jemand im Weg steht und ich deshalb nicht gewinne. Dass er seinen Platz nicht frei macht zum Überholen, da kann ich nichts dafür. Solche Situationen gibt es auch. Aber auch hier gibt es Learnings, die ich in der Niederlage mitnehmen muss.
Peter: Genau, in diesen selbstverschuldeten oder externen Momenten der Niederlagen liegen wichtige Momente. Es ist dabei zentral zu erkennen: Was liegt in meiner Kontrolle – und was nicht? Äussere Umstände lassen sich oft nicht beeinflussen. Es hilft, solche Situationen zu analysieren, ohne in Selbstvorwürfen stecken zu bleiben. Du musst bei beiden Situationen irgendwann loslassen können. Akzeptieren was war - und weiter geht’s. Genauso war’s bei deinem Rennen mit der Person, die dir im Weg stand oder auch bei deinem Sturz – aber das hast du inzwischen beides gut verarbeitet.
Alex: Ja, das war bitter mit diesem Versperren vom Weg– aber diese Wunde heilte schneller als die Flashbacks vom Sturz, die beim Downhill immer mal wieder kamen. Die selbstverschuldeten Fehler wiegen einfach schwerer. Da braucht’s mehr mentale Arbeit.
Peter: Stürze, Fehler, Rückschläge – sie gehören dazu. Das muss jedem Athleten klar sein. Im Grunde genommen verlieren Sportler öfter, als dass sie gewinnen. Damit umgehen zu lernen ist Teil des Weges.
Ist es ein Unterschied, dass Alex nun plötzlich so viele Kilometer machen wird?
Peter: Die Herausforderung, die jetzt ansteht, ist ganz anders: kein klassisches Resultat, sondern ein Abenteuer über eine extreme Distanz. Das sind andere Anforderungen. Aber egal ob «kurze Einheiten» oder «Ultradistanz», die eigentliche Kunst ist es, die Trainingsleistungen dann abrufen zu können, wenn es zählt – im Wettkampf oder eben am Tag X. Es geht darum, Prioritäten zu erkennen: Was ist wann wirklich wichtig für mich? Lockerheit und Disziplin müssen im Gleichgewicht sein. Dass dies gelingt, ist v.a. die Arbeit des Athleten vor dem Tag X wichtig. Ein Performance- Mindset muss wachsen und sich an die immer neuen Challenges anpassen. Du musst dir die Frage stellen, was für gelernte Dinge und welche früheren Erfahrungen kannst mitnehmen? Was musst du neu lernen?
Alex: Was ich mitnehme und wohl noch mehr ins Zentrum rücken darf ist die Devise: „Sei dein bester Freund.“ Ich verbringe auf der ganzen Route viel Zeit allein. Ich bin mit mir, mit meinen Gedanken und mit meinen Freuden, Leiden und Fragen ans Leben. Es geht noch stärker als sonst um meine mentale Ausdauer. Wenn die Beine nicht mehr wollen, dann muss mein Kopf doppelt arbeiten. Da ist es entscheidend, den Fokus richtig zu setzen. Vielleicht hilft mir dann plötzlich Musik, obwohl ich normalerweise ohne sie trainiere. Aber bei dieser Dauer kann sie meine Gedanken in eine gute Richtung lenken. Und wenn das Wetter passt, kann ich mich an kleinen Dingen in der Natur dank Sonnenschein erfreuen. Aber durch die Nacht zu laufen – das wird eine neue Erfahrung. Vielleicht wird es auch das Coolste überhaupt. Ohne Peter wäre das aber definitiv nicht möglich. Zu wissen, was mir guttut, was nicht. Ich lese auch bewusst keine Bücher von mentalen Ultra-Gurus. 80/20 – 80 Prozent wird gut, 20 Prozent vielleicht nicht.
Peter (lacht): Da muss ich gleich mal einhaken. Erstens: Richtig cool, dass du das machst. Wie viele Menschen ziehen sowas wirklich durch? Und zweitens: Was bringt’s? Das ist wie mit dem Glas Wasser – halb voll oder halb leer? Ich sage: Es ist immer voll. Mit Wasser und Luft. Du bekommst aus so einem Erlebnis immer etwas zurück. Es geht nicht um die Kilometer – es geht um die Erfahrung. Wer sowas erlebt, hat schon gewonnen.
Alex: Genau. Für mich ist es ein Abenteuer. Ich will es nicht perfekt durchgeplant – ich will es erleben. Deshalb trainiere ich auch nicht auf der Originalstrecke. Ich will das Abenteuer spüren.
Was sind mögliche Stolpersteine bei deinem Projekt?
Alex: Ich denke, vor allem die Ernährung. Aber wenn’s passiert, passiert’s. Ein DNF ist eine Option. Ich weiß, was ich dabeihabe, wo ich im Notfall Hilfe bekomme. Wichtig ist: loslaufen, Spaß haben – und im Appenzell dann bitte auch noch lachen.
Peter: Und ein Plan muss auch flexibel sein. Mentale Stärke bedeutet: Ich habe einen Plan – aber ich kann ihn auch anpassen, wenn’s anders kommt. Wenn du dich zu sehr an einen fixen Ablauf klammerst, bist du im Ernstfall blockiert. Dann kommt der Frust. Wer das erkennt, bleibt handlungsfähig.
Alex: Und wenn’s hart kommt, rufe ich meinen Sandkasten-Buddy an. Der fragt dann: „Stirbst du dran?“ Wenn ich „nein“ sage, kommt: „Also, wo ist das Problem? Lauf einfach.“ Manchmal braucht’s genau das – einen kurzen Austausch, eine vertraute Stimme. Vielleicht rufe ich auch einfach meine Frau an. Das hilft oft schon.
Was sind Tipps und Tricks für Einsteiger, auch wenn es kleinere Abenteuer sind?
Peter: Ein Schlüssel ist das Mindset, egal welche Distanz und welches Niveau. Mit welcher inneren Haltung gehe ich an die Sache ran ist mitentscheidend? Sei dir bewusst, was du trainiert hast. Welche Erkenntnisse hast du über dich gesammelt? Welche Fähigkeiten hast du? Wie reagierst du auf Unvorhergesehenes? Natürlich ist das Ziel eine Bestleistung – aber was, wenn es nicht so läuft? Dann brauchst du Plan B. Und setz dir nicht nur Ergebnisziele, sondern auch mentale, taktische und Verhaltensziele. Am Ende kannst du reflektieren, welche Ziele du erreicht hast – und warum.
Danke an Alex und an Peter für das spannende Gespräch und den Blick hinter die Kulissen. Es zeigt sich klar, dass sportliche Herausforderungen, egal welcher Art, nicht nur starke Beine, sondern auch einen klaren Kopf und ein stabiles Herz brauchen.
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